Kernenergie! Die Antwort auf die Klimafrage? (6)

Auf meine Bitte um eine Reaktion auf die Ausführungen von Hans-Werner Sinn (siehe vorheriger Artikel) habe ich eine ausführliche Antwort von Friederike Frieß erhalten.
Friederike Frieß ist Physikerin. Sie hat 2017 zu schnellen Reaktoren promoviert und ist zur Zeit als Senior Scientist am Institut für Sicherheits- und Risikowissenschaften der BOKU Wien tätig. 

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Lieber Herr (…)

zu den von H.-W. Sinn gemachten Aussagen zur Kernenergie fällt mir folgendes ein:

“Die Endlagerthematik lässt sich durch schnelle Brüter reduzieren. Dabei geht die Menge an hochradioaktivem Material auf ein Sechstel zurück.”

Schnelle Brüter können in einem geschlossenen Brennstoffkreislauf verwendet werden. Dabei wird der abgebrannte Brennstoff nach Entnahme aus dem Reaktor wieder aufgearbeitet und erneut zur Energiegewinnung eingesetzt. Das Ziel ist dabei allerdings eher eine effizientere Ressourcennutzung (Uranvorkommen sind begrenzt) als die Reduzierung des einzulagernden radioaktiven Abfalls. Selbst in einem auf die Reduzierung des radioaktiven Abfalls ausgelegten Kreislauf („Partitionierung und Transmutation – P&T“) wird ein Endlager benötigt. Der geschlossene Brennstoffkreislauf, geschweige denn ein P&T Konzept, wurde bis jetzt weltweit nicht umgesetzt. Um wieviel sich die Menge des einzulagernden radioaktiven Mülls reduziert hängt von konkreten Umsetzung ab. Es wird aber immer ein Endlager gebraucht.

“Deswegen werden die ausgebrannten Brennstäbe meistens oberirdisch gelagert.”

Die Größe eines Endlagers ist vor allem durch die Wärmeentwicklung des einzulagernden Materials bestimmt. Abgebrannte Brennelemente werden üblicherweise erst oberdisch gelagert, bevor sie nach einer gewissen Zeit der Abkühlung (normalerweise mehrere Jahre) weiter behandelt werden, bsw. für die Endlagerung vorbereitet. Auch in einem geschlossenen Brennstoffkreislauf lässt man die abgebrannten Brennelemente einige Zeit abklingen bevor man neue Brennelemente aus ihnen fertigt.

“Die Lagerung der radioaktiven Restmengen ist im Vergleich zur Lagerung des CO2 in der Atmosphäre das kleinere Übel. Kohlekraftwerke sind im Normalbetrieb für den Menschen radioaktiver als Kernkraftwerke, weil die radioaktiven Stäube eingeatmet werden.”

– kann ich nicht beurteilen, habe dieses Argument so allerdings noch nicht gehört.

“Das Endlagerthema ist ein spezifisch deutsches.”

Sogar laut der sicherlich nicht nuklear-kritischen Vereinigung World Nuclear Association wird die unterirdische Endlagerung von radioaktiven Abfällen als die beste Option gesehen. Viele Länder, darunter auch die USA oder Kanada, sind auf der Suche nach möglichen Standorten. In Finnland und Schweden sind die Pläne für ein Endlager bis jetzt am weitesten fortgeschritten. Was genau „spezifisch deutsch sein“ soll, erschließt sich mir nicht.

“Thoriumreaktoren sind eine Alternative, da es nicht an Thorium in der Erdkruste mangelt. Sie sind außerdem sicherer.”

Thoriumreaktoren werden seit dem Beginn der Kernenergienutzung in den 1950er Jahren diskutiert. Die Uranressourcen sind nur ein Problem, wenn man a) von einem Ausbau der Kernenergie ausgeht und b) nicht von einem geschlossenen Brennstoffkreislauf.

“Man kann im Übrigen Uran aus Meerwasser gewinnen. Da ist es praktisch unbegrenzt vorhanden.”

In Meerwasser vorkommendes Uran wird üblicherweise als unkonventionelle Ressource gehandelt, das heißt, es hängt vom technologischen Fortschritt ab inwieweit sie nutzbar gemacht werden kann.

Hierzu lässt sich noch sagen:

  • je aufwendiger die Gewinnung des Urans ist, desto schlechter wird auch die CO2 Bilanz der Kernenergieerzeugung (gilt auch für die Gewinnung von Uran aus Minen mit einem niedrigen Urangehalt!)
  • möchte man, wie oben erwähnt, einen geschlossenen Brennstoffkreislauf zur Abfallreduzierung fahren, sind die Uranvorkommen noch lange nicht relevant. Die limitierten Uranvorkommen sind einer der Hauptgründe für einen geschlossenen Brennstoffkreislauf.

“Schließlich gibt es verschiedene Wege der Kernfusion, die man beschreiten kann. China hat kürzlich erklärt, nach den bisher schon finanzierten Forschungsreaktoren bis 2030 einen funktionierenden Fusionsreaktor bauen zu wollen, der mehr Energie liefert, als er braucht. Deutschland steht mit seinem Stellarator in Greifswald vorn in der Riege der Fusionsforschungseinrichtungen.”

Der Wendelstein 7-X ist eine Experimentieranlage, deren Zeitplan sich immer wieder verschiebt. Der International Thermonuclear Experimental Reactor ITER, der in Frankreich gebaut wird, sollte ursprünglich 2016 seinen Betrieb aufnehmen. Inzwischen geht man von 2035 aus.

Einen Reaktor bauen, der mehr Energie liefert als er braucht, wie die Chinese laut Sinn behaupten, ist ein Schritt auf dem Weg zur kommerziellen Nutzung, aber noch weit davon entfernt. Die Treibhausgas- Emissionen in der EU sollen bis 2050 um 80%-95% reduziert werden. Mir ist ein Rätsel, wie eine Groß-Technologie, die sich Mitte der 2030er Jahre (ITER) noch im Entwicklungsstadium befindet, einen relevanten Beitrag leisten soll.

“Die Aussage, dass der Kernkraftwerkstrom teurer als photovoltaischer Strom ist, ist irreführend, weil eine regelbare und als saisonaler Puffer verwendete Energie mit einer volatilen, nicht regelbaren Energie verglichen wird, die qua Einspeiseprivileg jederzeit zuerst abgenommen werden muss und einen positiven Preis selbst dann bekommt, wenn der Spotpreis für Strom negativ ist.”

Im Zuge der Energiewende wird ein neues Energiesystem gestaltet. Die Grundlage hierfür sollten die erneuerbaren Energien sein. Auf diese Basis müssen wir uns überlegen, welche weiteren Energieträger oder -technologien dazu passen. Beispielsweise ist sicherlich der Ausbau entsprechender Speichermöglichkeiten wie Pumpspeicherkraftwerke notwendig um die Volatilität der Erneuerbaren auszugleichen. Der Ausgangspunkt für unser Energiesystem sollte eben nicht die Kernenergie sein, die unter anderem auch den Nachteil von sehr langen Bindungen hat: Kernkraftwerke sind heute mitunter bis zu 80 Jahre im Betrieb. Zusätzlich sind Kernkraftwerke auch eher für den Grundlastbetrieb und eben nicht für den Lastfolgebetrieb ausgelegt. Um Schwankungen auszugleichen, sind Gaskraftwerke besser geeignet.

Den Fakt, dass es mitunter einen positiven Preis für Photovoltaik Strom gibt, auch wenn der Spotpreis negativ ist, würde ich eher einer fehlgeleiteten Gesetzgebung und weniger der Erzeugungsweise an sich anlasten.

(…)

Herzliche Grüße,

Friederike Frieß

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